Ende Jahr gibt der langjährige Geschäftsführer von BirdLife Schweiz die Geschäfte an seinen Nachfolger Raffael Ayé weiter. Werner Müller hat nicht nur den Verband aufgebaut, sein Einfluss auf den Naturschutz in der Schweiz ist immens. Dank seinem umfassenden Wissen, politischen Sensorium und unermüdlichen Engagement konnten Angriffe auf den Schutz der Biodiversität vereitelt und wichtige Initiativen und Projekte lanciert werden. Dafür dankt ihm die BirdLife-Familie ganz herzlich.
Am 1. April 1979 begann die Arbeit von Werner Müller beim damaligen Schweizerischen Landeskomitee für Vogelschutz (SLKV), dem Vorvorläufer von BirdLife Schweiz, ausgerüstet mit einem Pult und einem Bleistift in der Bibliothek der Eidg. Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf. Als Heckenberater wurde er eingestellt, als «Heckenmüller» kennt ihn die ältere Generation noch heute.
Zusammen mit Fritz Hirt gelang es ihm Ende der 80er-Jahre gegen mannigfaltige Widerstände, die verschiedenen Vogelschutzverbände des Landes zum Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz zusammenzuschliessen. Der Verband benötigte eine grossformatige und farbige Verbandszeitschrift: Die Zeitschrift «Vögel der Heimat» wurde durch Ornis abgelöst. Unzählige Artikel stammen aus der Feder von Werner Müller und haben dazu beigetragen, dass Ornis zu einer anerkannten Fachzeitschrift geworden ist.
Die Geschäftsstelle des Verbandes befand sich mittlerweile an der Zurlindenstrasse in Zürich und umfasste drei Personen. Der Verband wuchs stetig, ab 1993 am heutigen Ort. 2001 folgte der Aufbau der Geschäftsstelle in La Sauge, später kam jene im Tessin dazu. Werner Müller realisierte um die Jahrtausendwende die beiden Naturzentren Neeracherried und La Sauge. Die Hides mussten aus England importiert werden, da solche Beobachtungshütten in der Schweiz noch unbekannt waren. Zwanzig Jahre später plante er zusammen mit BirdLife Aargau auch das Naturzentrum Klingnauer Stausee. Zeitgleich war er massgeblich am Aufbau des Zentrums am Pfäffikersee beteiligt.
Heute kennen wir das Schlagwort vom evidenzbasierten Naturschutz. Diese auf Fakten und wissenschaftlichen Arbeiten abgestützte Arbeitsweise prägte Werner Müller schon als jungen Mann. Seine Kartierungen und Arbeiten zum Flussuferläufer oder Mittelspecht wie auch der Aufbau des Ornithologischen Inventars des Kantons Zürich zählten zu seinen frühen Arbeiten. Als er die Betreuung des Neeracherriedes übernahm, wurden auch hier neue Massstäbe gesetzt. Er regte die botanischen Bestandsaufnahmen der Ala-Reservate an, sorgte für den Aushub des grossen Flachteiches im Neeracherried und führte die Beweidung mit Schottischen Hochlandrindern ein. Seit 30 Jahren arbeitet Werner Müller hartnäckig daran, dass die Strassen aus dem Ried verlegt werden. Heute ist das Projekt im Richtplan verankert. In den nächsten Jahren wird sich Werner Müller um die Umsetzung des Grossprojektes kümmern.
Häufiger Gast im Bundeshaus
Biodiversität und Natur müssen auch Themen im Bundeshaus sein, dieser Meinung war Werner Müller schon vor 20 Jahren. Die anderen Umweltorganisationen waren damals in Bern wenig präsent. Zusammen mit Nationalrat Kurt Fluri gründete er 2004 die Parlamentarische Gruppe «Biodiversität und Artenschutz» mit Politikern aus allen Parteien. Mit seinem Sensorium für die Politik, geschicktem Taktieren und Einbinden verschiedenster Personen gelang es ihm und seinen Mitstreitern, das Budget für die Biodiversität mehrmals vor Kürzungen zu bewahren und im Energiegesetz den Schutz der nationalen Biotope zu verankern.
Die Biodiversitätsstrategie, die der Bundesrat 2012 beschloss, war eines seiner ganz grossen Anliegen. Da der Aktionsplan Biodiversität des Bundes ungenügend war und ist, lancierte er den «Aktionsplan der Zivilgesellschaft». Nicht weniger als 43 Institutionen stehen hinter diesem Plan, der für die verschiedenen Sektoren und die Verwaltungen des Bundes die Massnahmen für den Schutz und die Förderung der Biodiversität aufzeigt. Aus dem ungenügenden Engagement des Bundes entstand zudem die Idee der Biodiversitätsinitiative. Es ist vor allem auch Werner Müller zu verdanken, dass sie vor zwei Jahren lanciert werden konnte und diesen Herbst zustande kam.
Wichtige Erfolge gelangen BirdLife Schweiz bei der Durchsetzung der Gesetze mit Hilfe des Verbandsbeschwerderechts. Werner Müller erreichte beispielsweise, dass die Kantone geschützte Tierarten nicht einfach abschiessen können, sondern dafür vorgängig eine Begründung und eine rekursfähige Bewilligung veröffentlichen müssen. Mehrfach stand das Verbandsbeschwerderecht unter Beschuss und erforderte einen zähen Einsatz.
Der Natur Gehör verschaffen
Heiss ging es zu und her, als in den 1990er-Jahren der sogenannte nationale Kormoranplan erarbeitet wurde. Er regelt den Umgang mit dem fischfressenden Vogel mehr oder weniger bis heute. Werner Müller verhinderte unbegründete Massnahmen im Schutzgebiet Fanel und ermöglichte dem Kormoran, einen stabilen Brutbestand aufzubauen. Ein anderer Dauerbrenner ist die Agrarpolitik, die Werner Müller und BirdLife Schweiz immer wieder stark beschäftigte. Auch das Referendum gegen die Jagdgesetzrevision wäre ohne den Grosseinsatz von Werner Müller wohl nicht erfolgreich gewesen.
Werner Müller hinterliess auch Spuren auf dem internationalen Parkett. Im Vorstand von BirdLife Europa (heute BirdLife Europa und Zentralasien) und BirdLife International arbeitete er von 2006 bis 2013 und drei Jahre als Europavorsitzender darauf hin, das Mitbestimmungsrecht der Verbände zu sichern und die Unterstützung von kleinen BirdLife- Partnern zu verstärken. Besonders interessierten ihn die weltweite Biodiversitätspolitik und deren Auswirkungen auf die Schweiz. Er nahm an den meisten der letzten Uno-Biodiversitätskonferenzen teil, zweimal auch als Mitglied der offiziellen Schweizer Delegation.
Werner Müller engagierte sich von Anfang an für das dreistufige System «Naturschutz auf der ganzen Fläche, Schutz der Vorranggebiete und spezifische Förderung von Arten». Damit konnten die ewigen Richtungsstreitigkeiten im Naturschutz weitgehend beruhigt werden. Er gleiste die umfassende Förderung verschiedener gefährdeter Vögel auf. Das Artenförderungsprojekt Wachtelkönig war eines der ersten seiner Art. Mitte der 1990er-Jahre suchte er selber nächtelang Wachtelkönige, um den neuen Ansatz zu testen. Aufgrund dieses Beispiels entstand das Artenförderungsprogramm Vögel zusammen mit der Schweizerischen Vogelwarte und dem Bundesamt für Umwelt (Bafu). Heute ist dieses Prinzip gesamtschweizerisch verbreitet und anerkannt.
Die drei Geschäftsstellen von BirdLife Schweiz wuchsen bis heute auf insgesamt 28 Angestellte an. Auch verbandsintern gab es in den letzten Jahren die eine oder andere Knacknuss zu lösen. So wurden das neue Konzept 2030 für den Verband erarbeitet und die weitere Entwicklung von BirdLife Schweiz mit Task Forces zu verschiedenen Themen vorangetrieben.
Mit Visionen und Beharrlichkeit
Werner Müllers Visionen, seine Beharrlichkeit und sein grosses Wissen sowie sein politisches Gespür haben BirdLife Schweiz über die Jahre geprägt und den Schutz der Natur vor einer noch stärkeren Aufweichung bewahrt. Ich kenne persönlich niemanden, der ein solches Sensorium entwickelt hat, politische Strömungen und Bedrohungen schon im Ansatz zu erkennen und damit frühzeitig Gegensteuer geben zu können.
Der Vorstand und die ganze BirdLife-Familie danken Werner Müller sehr herzlich für seinen immensen Einsatz. Er wird dem Naturschutz in der Schweiz in verschiedenen Projekten erhalten bleiben. Für die Zukunft wünschen wir Werner Müller alles Gute und weiterhin viel Freude an der Natur.
Text: Dr. Beat Wartmann, Vizepräsident von BirdLife Schweiz und langjähriger Weggefährte von Werner Müller